MOND ÜBER SOHO

 

Eine literarisch-musikalische Dreigroschenlesung

 

 

Und der Haifisch, der hat Zähne / Und die trägt er im Gesicht…“

 

Genau genommen könnten die beiden an jeder Straßenecke sitzen, dort, wo sich ein paar Leute versammeln, um ihnen zuzuhören. Einige werden das Lied mitsummen oder mitpfeifen können, denn sie erkennen die weltbekannte Melodie, mit der Kurt Weill den Song seines Freundes Bertolt Brecht, die „Moritat von Mackie Messer“, zum echten Gassenhauer gemacht hat.

 

Die beiden, das sind die Schauspieler.innen Saskia Junggeburth und Janco Ohlen, die sich mit kleinsten Mitteln an ein großes Projekt wagen: Sie erzählen die Geschichte der „Dreigroschenoper“, das heißt sowohl die Geschichte ihrer Entstehung Ende der 20-er Jahre des letzten Jahrhunderts im politisch und kulturell brodelnden Hexenkessel Berlin, als auch die Story um den gerissenen Bettlerkönig Jonathan Peachum und seine Tochter Polly, die der Bandit Mackie Messer zur Frau nimmt.

 

Das Erzählen ist bei diesem Duo kein staubtrockener Vortrag, ganz im Gegenteil: Es ist eine Kleinkunstform der Darstellung dieser großen Oper, deren mitreißende Songs von beiden gesungen und von Janco Ohlen auf der Gitarre begleitet werden. Dabei legen sie Wert auf die Herkunft dieses Meisterwerks, das der in Sachen Urheberschaft listige Brecht aus der „Beggars Opera“ des Briten John Gay geformt hatte, und auch auf die Tatsache, dass seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann die Liedtexte übersetzt und Brecht sie übernommen hatte, als wäre es sein eigenes Werk. 

 

Was bei Brecht und Weill ein aufwendiges Spektakel, eben tatsächlich große Oper, geworden ist, wird hier, bei dem Duo Junggeburth und Ohlen, zu einer dicht gewebten Darstellung, die die leisen und die lauten Töne des Originals, die zarten, die ironischen, die zynischen, die frechen, Kapitalismus kritischen Seiten, ebenso unterhaltsam wie erhellend hervorhebt. Saskia Junggeburth singt und spricht die Texte mit dem stets richtigen Tonfall, mit einer Klarheit und Wärme, die ihre Kenntnis der Brecht-Tradition verrät, ohne dass sie dabei traditionell wirkt. Denn das ist das Besondere an dieser „kleinen Dreigroschenoper“:  Die beiden finden einen eigenen Zugang und einen eigenen Ton, der die Älteren im Publikum an ihre erste Begegnung mit dem unverwüstlichen Werk erinnern wird, und die Jüngeren davon überzeugen kann, dass es sich unbedingt lohnt, diese „Dreigroschenoper“ in die eigene Schatzkiste aus dem riesigen Angebot der sog. „Hochkultur“ aufzunehmen. Dann werden sie nicht nur Mackie Messers Moritat mitsingen („doch das Messer sieht man nicht“), sondern auch Polly´s militante Ballade der Seeräuber-Jenny, der Janco Ohlen, mal vielfältig akustisch, mal mit den kräftigen Rhythmen der elektrischen Gitarre, klug und gekonnt den musikalischen Unterboden gibt, mit dem er Gesang und Texte fast durchgehend begleitet. Die „Dreigroschenoper“ auf der Kleinkunstbühne, raffiniert reduziert, ohne Kern und Fleisch dieses großen Klagelieds auf das Elend der Welt zu beschädigen: Ein Kunststück, im besten Sinne.   

 

 

Hans Happel
(zur Premiere am 20. Oktober 2023 im Gemeindesaal der Hamburger Dreifaltigskeitskirche)

 

 

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